FH D

Fachhochschule Düsseldorf
University of Applied Sciences

FB 6

Fachbereich Sozial-
und Kulturwissenschaften


Tagungsbericht 'Kulturkritik und das Populäre in der Musik'

Die Tagung „Kulturkritik und das Populäre in der Musik“ fand statt vom 21. bis zum 23. März 2014 im Schloss Mickeln in Düsseldorf. Um einen fruchtbaren Bezug der Vorträge untereinander zu realisieren, wurden – abgesehen vom Eröffnungsvortrag und dem Panel von Prof. Neumann-Braun – die Vorträge in Kleinpanels zu je zwei Vorträgen aufgeteilt. Regelmäßige Kaffeepausen inklusive Obst- und Gebäckteller sowie einem durchgängigen Angebot auch an Wasser und Saft sorgten für eine gemütliche Atmosphäre, so dass viele spannende Gespräche, zusätzlich zu den Diskussionen in den Panels, auch während der Pausen entstanden. Die rund 80 Teilnehmenden setzten sich etwa zur Hälfte aus Studierenden sowie Lehrenden der Fachhochschule Düsseldorf zusammen.

Die Tagung wurde von der diskurtheoretischen Herangehensweise geleitet, dass Musikschaffende, Rezipierende und Musikindustrie als Diskursträger den Gegenstand „populäre Musik“, von dem sie „kritisch“ reden, zuallererst erzeugen. Ziel war es insofern zu beleuchten, inwieweit Kulturkritik als eine wörtlich zu verstehende „Kunst des Scheidens“ Grenzen zwischen der populären und der „anderen“ Musik (E-Musik, Tonkunst etc.) zieht und welche diskursiven Strategien und Formationsregeln sich dabei beschreiben lassen. In tendenziell chronologischer Reihenfolge des Kongresses wurden vier Fragen behandelt, die – wie sich im Verlauf der Diskussionen zeigte – ineinandergreifen und nicht isoliert betrachtet werden können:

Wie legen kulturkritische Diskurse durch Abgrenzung und Eingrenzung „populäre Musik“ als Objekt der Kritik fest?
Wie positionieren sich Theodor W. Adorno (als zentraler Diskursträger der kulturkritischen Annäherung an Musik) und Pierre Bourdieu (als ein im Kontext der Kulturkritik an populärer Musik bislang weniger beachtete Soziologe) und die Wissenschaftskritik zum Objekt „populäre Musik“?
Auf welche Begriffe und Konzepte greifen Adorno, Bourdieu und andere Kulturkritiker zurück?
Wie verwenden sie diese strategisch, kombinieren sie und spielen sie gegeneinander aus?

Der Eröffnungsvortrag von Prof. Dr. Thomas Hecken „Pop, Poptheorie und Kulturkritik“ spannte einen weiten zeitlichen Bogen, um die grundlegenden Parameter zu beschreiben, in denen sich Kulturkritik bewegt. Die beiden folgenden Panels „Ästhetik/Ethik 1“ und „Ästhetik/Ethik 2“ befassten sich dann mit der Frage, wie ästhetische Eindrücke der populären Musik in ethische Urteile münden oder wie ethische Grenzziehung an der Gestalt des Populären festgemacht werden. Eröffnet wurde das erste Panel mit dem Vortrag „Das Gute, das Schöne und das Andere: Populäre Musik und das Unbehagen (an) der Musikästhetik“ von Dr. des. Michael Fuhr von Hochschule für Musik, Medien, Theater Hannover. Er dachte die traditionelle Kulturkritik mit der (eurozentristisch geprägten) Musikethnologie zusammen und arbeitete Gemeinsamkeiten in der jeweiligen Konzeption des Populären als das Andere der Musik heraus. Im folgenden Vortrag erörterte Prof. em. Dr. Kaspar Maase von der Universität Tübingen die Frage nach der Spezifik der Populären Musik in Bezug auf andere Populäre Gattungen wie „Schundliteratur“. Er führte aus, warum Erstere aufgrund ihrer ästhetischen und medialen Beschaffenheit weniger Empörungspotential in sich trug. Der Vortrag konzentrierte sich auf den Anfang des 20. Jahrhunderts und baute so eine Brücke zum ersten Vortrag des zweiten Panels „Ästhetik/Ethik 2“ von Prof. Dr. Derek B. Scott von der University of Leeds. Scott zeichnete mit seinem Vortrag zur Praxis des „Policing the Boundaries of Art and Entertainment“ der am Beispiel der Gegenüberstellung von Oper und Operette sowie Rock und Art Rock die Funktionsweisen und Hintergründe einer „geschmackspolizeilichen“ Unterscheidung zwischen ästhetischer Kunstform und soziologischem Ausdrucksmittel nach. Abgeschlossen wurde das Panel mit Beobachtungen zum Diffundieren zwischen „Affirmation und Negation des Populären im Katholizismus“, vorgetragen von Dr. phil. Dr. theol. Michael Fischer vom Deutschen Volksliedarchiv Freiburg, das mittlerweile als Institut für Populäre Kultur und Musik in die Universität Freiburg integriert wurde. Insgesamt zeigten die beiden Panels auch für die folgenden Panels virulente Strategien auf, wie diskursiv unterschieden wird zwischen einer als ästhetisch zu betrachteten Hochkultur, die für sich selbst steht, und einer populären Kultur, die sich selbst in ihrer Ästhetik nicht genügt und insofern entweder ethisch verurteilt oder zumindest soziologisiert als unvermeidlicher Ausdruck oder Rezeptionsbedürfnis einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht gesehen wird.

Die beiden Panels „Kultur/Industrie“ widmeten sich der Frage nach der Aktualität der kritischen Theorie für die Betrachtung populärer Kulturen. Sie fanden immer wieder im widersprüchlichen Konzept von Kultur und Kulturkritik bei Adorno ihren Ausgangspunkt, da Adorno einerseits Kulturkritik als ein unabdingbares Element einer in sich widerspruchsvollen Kultur sieht, andererseits den (vermeintlichen) Erzeugnissen der Kulturindustrie – wie etwa dem Jazz – diese spannungsreiche Dialektik nicht einräumen will, so etwa Prof. Dr. Hans-Ernst Schiller von der Fachhochschule Düsseldorf mit dem Vortrag „Kultur als Täuschung und Versprechen. Adorno zur Kulturkritik“ oder auch Prof. Dr. Ulrich Plass von der Wesleyan University (Connnecticut, USA) zur in seinem Vortrag aufgeworfenen Frage nach der ästhetischen Begründung von Adornos Polemik gegen Jazz als kulturindustrielles Medium. Dr. Agnès Gayraud von der Université de Sorbonne stellte im zweiten Teil des Panels die Frage, inwieweit das von Adorno beschriebene aktive Hören in der heutigen Zeit in der populären Musik möglich und notwendig wäre.

Die beiden Panels zu „Distinktion/Identifikation“ setzten sich mit Hilfe der Konzeption Pierre Bourdieus mit der populären Kultur auseinander und beleuchteten seine Distinktionstheorie vor dem Hintergrund der Unterscheidung zwischen „populärer“ und „legitimer“ (Bourdieu) Kultur. Dr. Michel Parzer mit seinem Vortrag zum „guten Geschmack“ legte dabei den Fokus auf das Phänomen des „kulturellen Allesfressers“, Prof. Dr. Fernand Hörner auf die Unterscheidung zwischen populärer Kultur und populärem Geschmack und Dr. Nadja Geer schließlich auf den Habitus einer gelehrten Popmusikkritik („Sophistication“). Vor dem Hintergrund einer aktuellen kulturpolitischen Entwicklung analysierte Prof. Dr. Susanne Binas-Preisendörfer von der Universität Oldenburg den medialen Diskurs um die Ernennung von „Popmusikmanager“ Tim Renner zum Kulturstaatssekretär in Berlin.

Das erste Panel am Sonntagvormittag „Pop/Kanon“ knüpfte an die Distinktionstheorie an und untersuchte Strategien der Kanonisierung und „Konsekration“ der populären Musik im Bereich des Musikjournalismus (Jonathan Kropf, Universität Kassel) und der Schulpädagogik (PD Dr. Christofer Jost, Universität Basel und mittlerweile auch Universität Freiburg). Der Kongress endete mit zwei exemplarischen Analysen des kulturkritischen Umgangs mit unterschiedlichen Musikrichtungen, Neue Deutsche Welle bei Dr. Barbara Hornberger („Affirmation, Provokation, Irritation oder Was hat Herr Mussolini im Pop zu suchen?“), Ibiza House bei Prof. Dr. Dirk Matejovski („Kulturkritik und Club-Hedonismus. Zum Verhältnis von Soundästhetik und Exzess-Ökonomie auf Ibiza“) insbesondere in Bezug auf Körperlichkeit und Tanz als diskursives Gegenstück zur Ästhetik.

Grundsätzlich hat sich gezeigt, dass der konsequent interdisziplinäre Ansatz mit Forschenden aus Medien-, Kultur-, Literatur- und Sozialwissenschaften, aber auch aus Theologie und Philosophie als große Bereicherung empfunden wurde. Auch die Kombination von quantitativen und qualitativen Einzelfallanalysen sowie systematisch-theoretischen Ansätzen hat einen intensiven Austausch im Rahmen der Diskussionen und darüber hinaus auslösen können. Als Ergebnis des Kongresses haben sich zwei Desiderate herausgestellt, nämlich erstens, die medienspezifischen Aspekte der Kulturkritik genauer ins Auge zu nehmen, die sich z. B. in Form der Kritik der Massenmedien, des Auraverlustes, der ständigen Verfügbarkeit von Musik etc. entzünden, sowie zweitens, einen Vergleich anzustellen zwischen Kulturkritik an der populären Musik und an anderen Formen des Populären (Literatur, audiovisuelle Medien).

Zur Tagung wird, voraussichtlich im Frühjahr 2015, ein Tagungsband im Waxmann-Verlag in der Reihe „Populäre Kultur und Musik“ erscheinen. Die Referentinnen und Referenten haben hier die Gelegenheit, nicht nur ihre Thesen zu verschriftlichen, sondern auch Aspekte der Diskussionen und Tagungsergebnisse miteinzubeziehen bzw. die Vorträge insbesondere Panel-intern aufeinander zu beziehen.

siehe auch unter: http://soz-kult.fh-duesseldorf.de/forschung/fachtagungen/kulturkritik/